Wer ist der Teufel? Wer sind die Dämonen, die den Menschen auflauern? Sie sind Legion, antworteten sie. Aber der Herr war mächtiger. Er trieb die unreinen Geister aus, die sich einer Herde Schweine bemächtigte. Doch die Schweine gerieten in Panik. Sie stürzten sich einen Abhang hinab in einen See und ertranken. Im Zweiten Weltkrieg hat ein SS-Offizier namens Rudolf Heyzig die Leitung über ein besonderes Projekt in Rumänien: Legion. Im Mittelpunkt seiner Bestrebungen einer unschlagbaren Armee steht ein kleines Mädchen mit außergewöhnlichen Kräften. Allein durch die Übertragung ihres Blutes auf andere Organismen ist sie in der Lage diese nach ihrem Willen zu lenken.
Die ersten Testergebnisse sind ermutigend, nur sind sie von der Kontrolle einer ganzen Armee noch weit entfernt. Noch weiter entfernt in England verursacht der Tod eines bekannten und sehr einflussreichen Mannes einigen anderen noch mächtigeren Männern in diesem Krieg ziemliches Magengrimmen. Victor Thorpe, der Tote, verstarb offensichtlich in einem Gebäudebrand, in Wahrheit jedoch hatte er keinen einzigen Tropfen Blut mehr im Körper. Einem Mitarbeiter des Geheimdienstes, Stanley Pilgrim, wird die Aufklärung des Falles übertragen. Je mehr er sich mit seinen Mitarbeitern in den Fall hineinhängt, umso mysteriöser wird es. Bald schon scheint es einen mystischen Hintergrund zu geben, aber das ist doch nicht möglich!
Fabien Nury, Autor von Ich bin Legion, spielt mit einem der dunkelsten Kapitel der Weltgeschichte und kennt sich in dieser Zeitepoche und den Thrillern, die in jener Zeit spielen offensichtlich gut aus. Die Atmosphäre erinnert die Werke von Autoren wie Alistair MacLean, Ken Follett, Jack Higgins oder Robert Harris, der mit seinem Roman Vaterland der Verarbeitung jenes Themas die nicht unwesentlich ironisierte Krone aufsetzte.
Fabien Nury zögert nicht, viktorianisches Horrorgefühl und realistisch agierende Figuren zueinander in Beziehung zu setzen. Ein Protagonist wie Rudolf Heyzig, charakterlich wie auch optisch an eine Person aus dem nationalsozialistischen Führungskader wie Reinhard Heydrich angelehnt, will durch Experimente und Forschungen, wie sie schon George Lucas und Steven Spielberg in der Indiana Jones-Reihe dem Dritten Reich andichteten, das Schlachtenglück zugunsten der Deutschen wenden. Damit folgt Nury einem Trend, der sich auch in der Hellboy-Reihe findet. Scheinbar besitzt das Dritte Reich, auch durch seine Glorifizierung germanischer Mythen selber hervorgerufen, ein außerordentliches Potential für mysteriöse Handlungen. Inwiefern das gutzuheißen oder sinnvoll ist, muss jeder Leser für sich selber entscheiden, schließlich sind auch deutsche Autoren vor derlei Grusel nicht gefeit wie Die Stimmen der Nacht von Thomas Ziegler zeigt.
Blut ist ein ganz besonderer Saft. Das wusste schon der alte Goethe. Hier wird es zur Bedrohung, zum Überträger einer fremden Persönlichkeit, denn im Blut steckt das Wesen – welches Wesen? Schwer zu sagen. Vlad und Radu mögen Geschwister sein, aber sie verfügen über keine äußere Erscheinung, die ihnen wirklich zueigen ist. Sie sind Geistwesen, die das Blut als Transportmittel von einer Hülle in die nächste gebrauchen. Dabei spielt es keine Rolle, ob es sich dabei um Mensch oder Tier handelt. So überdauern sie die Jahrhunderte, vielleicht sogar länger.
Hier arbeitet Fabien Nury mit einer wahrhaft teuflischen Gestalt und beschwört damit das geheimnisvolle Flair heraus, dass schon anderen Gruselgeschichten zum Erfolg verhalf. Eine Bedrohung, die deutlich spürbar ist, doch gegen die es anscheinend keine wirksame Verteidigung gibt, ist der Horror schlechthin.
Strigoi – ein Begriff, der bereits in Dracula Verwendung fand. Wenn er außerdem von einer alten verhutzelt aussehenden Rumänin ausgesprochen wird, ist er umso furchteinflößender. Starzeichner John Cassady, der mit seinen Zeichnungen zu X-Men (in Zusammenarbeit mit Autor Joss Whedon) aufgefallen ist, bringt hier eine nüchterne, dokumentarische Ästhetik ins Spiel. Man hat als Leser das Gefühl, dass es sich um Bilder handelt, die gerade von Schwarzweiß ins Farbige hineinkippen. Umso bedrohlicher wird es, wie am Beispiel der alten rumänischen Frau, wenn Feuerglanz den Bildern Wärme gibt.
Das Titelbild des vorliegenden Bandes gibt ein schönes Beispiel dieses Farbzusammenspiels ab. Eher gedeckte Töne beherrschen die Hintergründe, pralle, leuchtende Farben stellen die Szene im Vordergrund heraus – oder jene für die jeweilige Szene wichtigen Details. Cassaday arbeitet mit ungeheuer feinen Strichen und Strukturen und erschafft Figuren und ein Umfeld, das erst durch die sehr feine Kolorierung von Laura Depuy ein wahnsinniges Volumen erhält. So entsteht zwar ein Comic-Erlebnis, aber eines, das gleichzeitig ein hyperrealistisches Bild vermittelt. Besonders in der ersten Hälfte und dann wieder gegen Ende sind so unglaublich tolle Eindrücke entstanden.
Ein sehr gutes Team, Fabien Nury und John Cassaday, haben ihre besten Fähigkeiten für eine sehr spannende Geschichte gebündelt. Das Grauen ist schleichend, die Spannung ist beinahe sofort gegenwärtig. Ein mysteriöser Thriller der Extraklasse, dessen historische Einbindung der Handlung möglicherweise nicht jedermanns Sache ist. 🙂
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