Die illustre Gesellschaft hat sich zu einem nicht minder großen Ereignis versammelt. In jenen Tagen haben alte Kulturen Hochkonjunktur und erfreuen sich in den so genannten besseren Kreisen einem großen Interesse. Das Auswickeln von uralten Mumien ist zu einem beliebten Spektakel während eines heiteren Abends geworden. – Doch niemand erwartete, dass eines Tages einmal eine jener ausgemergelten Toten die Augen aufschlagen würde. Beinahe 150 Jahre später erreicht ein gewaltiger Mann Indonesien und macht sich auf die Reise zu einer geheimen Insel, wo er bereits sehnsüchtig erwartet wird. Aufmerksam hat er die Nachrichten über einen nicht minder geheimnisvollen Fischmenschen verfolgt, der zusammen mit einer noch weniger geheimnisvollen Organisation einer Monsterplage in Nebraska den Garaus machte.
Dieser Fischmensch namens Abraham Sapien fühlt sich im Augenblick außerordentlich zwiegespalten. Stärker als in den letzten Monaten fühlt er sich mit seiner Vergangenheit konfrontiert, die immer stärker in die Gegenwart durchbricht. Ihm ist bereits bewusst, dass er nicht immer so gewesen ist. Vor langer Zeit führte als normaler Mensch ein Leben, wenngleich ihn die anderen Mächte, die Wissenschaft, das Dunkle schon immer fasziniert hat. Nun eröffnet sich ihm eine Spur in die Vergangenheit. Abe, wie ihn seine Freunde nennen, ist nur zu gern bereit, dieser Spur zu folgen und endlich Klarheit zu erhalten. Captain Daimio, der Leiter der B.U.A.P., begleitet ihn.
Ein Mann braucht seine Geheimnisse. Erst diese lassen ihn interessant werden. Wenn ein Mann seine eigenen Geheimnisse nicht kennt, dann hat er ein Problem. Wer als Leser die Abenteuer der Helden der B.U.A.P., der Behörde zu Untersuchung und Abwehr paranormaler Erscheinungen, verfolgt hat, glaubt schon lange nicht mehr, dass Hellboy derjenige mit den größten Geheimnissen ist. Abe Sapien ist auf dem besten Wege ihn dahingehend abzulösen. Mike Mignola und John Arcudi geben sich allerdings nicht nur der Aufklärung der Vergangenheit des grünen Helden zufrieden, sondern sie bereiten gleich die nächsten Verwicklungen und Verstrickungen vor.
Wieder einmal sind geheimnisvolle Erinnerungen und Gedanken ein Teil der Erzählung. Gleichwohl enthüllen sie überhaupt nichts, im Gegenteil, diese Szenen verursachen dem Leser noch mehr Kopfzerbrechen über die Vergangenheit dieses Captain Daimio. Allerdings findet Johann Kraus eine Spur, die …
Nun, das soll nicht verraten werden. Dennoch ist es ein gutes Beispiel von Mignolas und Arcudis Technik kleine Einsprengsel in den Hintergrund der hauptsächlichen Handlung zu säen und die Erwartung auf künftige Ereignisse noch mehr zu schüren. Hier reisen sie auf der Schiene jeder guter Storyliner, die einen lang angelegten roten Faden spinnen – wie es sich für eine Serie gehört, die ihre Leser bei der Stange halten will. Wie gut, dass die Phantasie der Macher schier ungeheuerlich groß ist und mit für den Leser grausamer Stetigkeit an der Spannungsschraube dreht.
Im Vordergrund folgen wir Abe Sapien auf die seltsame Insel mit noch seltsameren Bewohnern, die nichts anderes im Sinn haben, als der Welt einen Teiluntergang zu bescheren. Ein wenig empfindet man als Leser die Atmosphäre im Sinne eines Jules Verne-Romans, vordergründig natürlich von Die geheimnisvolle Insel oder eines Die Insel des Dr. Moreau, den ein ähnlich begabter H.G. Wells einst schrieb. Alles hier ist victorianisch angehaucht, ist alt, etwas vergammelt. Die Bilder von Guy Davis zeigen wunderbar altmodische Monströsitäten, wie sie eher zu den berühmten Kuriositätenkabinetten auf Jahrmärkten passen.
An der Wildnis, seltsamen Maschinen und Bomben, am Haus im Dschungel, der Mumie, Liz Shermans Visionen und so manch anderem grafischen Kleinod kann Guy Davis wieder zeigen, wie er mit seiner Technik und der tatkräftigen Hilfe des Koloristen Dave Stewart die perfekten Bilder für die Erzählungen rund um die B.U.A.P. schafft. Durch Davis’ Bilder entsteht eine Art von Reisetagebuch. Die Zeichnungen sind schnell, wirken flüchtig, nachträglich durch die Kolorierung verstärkt. Erstaunlich ist die Eleganz der Bilder bei aller Skizzenhaftigkeit. Diese Bilder könnten auch von einem Gerichtsmaler entworfen worden sein.
Wenn Davis sich, wie es bei den Entwürfen im Anhang auch sehr gut zu sehen ist, sich mit Monstern auseinandersetzen kann, läuft er zur Höchstform auf. Die Hybriden, beispielhaft eine Kreuzung aus Muräne und Vogel, wirken so wahnsinnig, aber auch im höchsten Maße organisch und richtig. Der Gipfel der Phantasien ist der Weltuntergang, den Liz Sherman vor Augen hat. Gleichzeitig ist es auch ein gruseliger Ausblick dessen, das einmal sein soll – so behauptet es jedenfalls Liz’ Jenseitskontakt. An diesem Bild hätte ein H.P. Lovecraft seine helle Freude gehabt.
Ein Kreis schließt sich – mit einem Paukenschlag: Das Geheimnis von Abe Sapien wird gelüftet. Neue Rätselfäden werden dem Leser wie Appetithäppchen angeboten. Mignola und Arcudi beherrschen ihr Handwerk inzwischen auf den Punkt genau und mit stetig wachsender Dosierung in der Rezeptur. Durch die Bilder von Davis und die Farben von Stewart ist diese Reihe zu einem Werk wie aus einem Guss geworden. Toll. 🙂
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