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Comic Blog


Mittwoch, 10. September 2008

Freaks of the Heartland

Filed under: Mystery — Michael um 11:35

Freaks of the HeartlandEine kleine Plastikpistole. Mehr braucht ein Kind nicht, um in andere Welten zu entfliehen. Damals jedenfalls. Das Elternhaus liegt dunkel da. Innen ist es wenig herzlich, die Stimmung ist angespannt. Andere Welten können besser sein. Das ist Trevors Geheimnis. Und nicht das einzige. Auch die gesamte Familie hat ein Geheimnis. Eingeschlossen in der Scheune, verborgen vor den Blicken anderer, hat Trevor noch einen Bruder. Trevor hat sich bislang wenig Gedanken um das Schicksal seines Bruders Will gemacht. Will ist angekettet, sein Essen besteht aus Abfall. Das ist alles nicht richtig, aber Trevor hat auch nicht die Macht das zu ändern. Nur in der Nacht, da nimmt er Will manchmal die Kette ab und sie gehen raus an die frische Luft, so wie richtige Brüder.

Das amerikanische Herzland, der Bibelgürtel, der Korngürtel, Gegenden in den Vereinigten Staaten, wo die Uhr anders tickt. Langsamer. Hier lebt der amerikanische Kleinstadtgeist, die Unwissenheit, das religiöse Herz. Und in dieser trotzdem von Gott verlassenen Gegend ereignet sich eine Tragödie. In diesen Gegenden, wo man noch amerikanischer ist als alle anderen, können unerwartete Ereignisse verstörend sein. Behinderungen, Missbildungen können als persönliche Strafen ausgelegt werden – sogar als solche von Gott – sie treffen ins Herz, als persönliche Schmach, die irgendwie ungerechtfertigt erscheint. Aber ob passend oder nicht, niemand darf davon erfahren. Die Vorgehensweisen sind dramatisch, drastisch und unmenschlich. Die eigentliche Herausforderung eines Gottes wird nicht erkannt und so machen sie alles noch schlimmer.

Dieses Grundschema findet sich bereits in manchem Western. Beliebt und gut erzählt sind hier die Varianten, in denen ein Indianer oder Halbindianer Mitglied einer weißen Familie ist. Paradebeispiele sind Denen man nicht vergibt (mit Burt Lancaster, Audrey Hepburn) oder auch Flammender Stern (mit Elvis Presley). Während in den Western die Familie wenigstens zu ihren Kindern oder sonstigen indianischen Verwandten steht, ist dies hier im Falle missgestalteter Kinder nicht mehr so. Die Kinder werden vor der Welt versteckt oder sogar getötet.

Die Erwachsenen ergehen sich in Verzweiflung und Angst. Nicht so die anderen leiblichen Kinder, jene, die mit ihren missgestalteten Geschwistern aufgewachsen sind und die menschliche wie auch liebevolle Seite an ihnen entdeckt haben.
So ein Junge ist Trevor. Sein Herz, das wirkliche Heartland in dieser Geschichte, zeigt ihm, was richtig ist. Er nutzt den einzigen Ausweg, den Kinder häufig nur haben. Er rennt weg und nimmt seinen Bruder Will mit.

Steve Niles, für seine Horrorphantasien in 30 Days of Night bekannt, entwirft hier ein sehr einfühlsames Bild, leicht tragisch, leicht gruselig, in jedem Falle menschlich und immer noch aktuell. Erzählerisch wie auch optisch zeitlos sind diese Ängste, die alles Fremde bei den Menschen hervorzurufen scheinen, immer noch vorhanden und bereiten gesellschaftliche Schwierigkeiten. Hier packt Niles diese Ängste in einen Mikrokosmos, in dem bestimmte Personen die Eckpunkte und Antriebskräfte bilden.

Trevor ist der Junge, der Unbescholtene, derjenige, der weiß, weil er mit Will aufgewachsen ist, weil er hinter die Fassade blickte. Der Vater ist der gottesfürchtige Uramerikaner, das Familienoberhaupt, das sich selbst für verflucht hält, weil es etwas falsch gemacht hat. Natürlich hat es etwas falsch gemacht, weil die anderen ihm nicht gehorcht haben. Da ist die Mutter, die Angst hat, die wegschaut. Da sind die anderen Familien, in denen es ähnlich ist. Und der Sheriff, die Stimme, derjenige, der nicht begreifen will und alle anderen kommandiert.
Am Ende ist da noch will, etwas anders ausschauend, sehr groß, langsam, aber er hat noch etwas, das nicht oft zu sehen ist, eine andere Kraft, eine besondere, ein Geheimnis.

Ebenso wie dieses Geheimnis bleibt auch der von Greg Ruth gezeichnete Will diffus. Ruth vermerkt im Anhang, dass er Will äußerlich nicht richtig packen konnte. Die Veränderungen, die Will durchläuft, kleine Variationen nur, sind deutlich sichtbar, aber das schadet keineswegs. So entsteht der Effekt des Nicht-Hinschauen-Sollens. Guck da nicht hin! Man macht es dennoch, flüchtig, weil man neugierig ist. Aber man schaut ganz schnell hin, so dass nur ein kurzer, ein verwaschener Eindruck verbleibt. Genauso erscheint Will. Als habe Greg Ruth ihn nicht richtig studieren, ihn nicht angaffen wollen, um ihn am Ende nicht bloßzustellen und zum Schauobjekt zu degradieren. Nur Trevor darf ihn wirklich so sehen, wie er ist.

Der Leser lernt im Laufe der Geschichte auch, Trevor zu vertrauen. Kinderaugen sehen die Wahrheit – wenn sie nicht aktiv betrogen werden. Die geschilderte Wahrheit ist furchtbar und ein Armutszeugnis für die so genannten Erwachsenen. Feinfühlig, beinahe unspektakulär, eigentlich unamerikanisch erzählt. Nicht in letzter Konsequenz neu, aber sehr interessant. Optisch ein Zuckerstück, wenn auch ein sehr düster angelegtes. 🙂

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