Das Leben hat es nicht gut mit Mike Blueberry gemeint. Obwohl er sich nach Leibeskräften bemühte, dem ihm übertragenen Auftrag auszuführen, wird er nun beschuldigt, einen riesigen Goldschatz beiseite geschafft zu haben. Abgemagert sitzt er nun in Francisville ein, einem der härtesten Militärgefängnisse der Vereinigten Staaten.
Darüber hinaus macht ihm Kommandant Kelly im Gefängnis das Leben schwer. Kaum ein Tag vergeht, ohne dass Kelly mit gemeinen Tricks versucht, an das Geheimnis des Goldschatzes zu gelangen. Indes ist Blueberry unschuldig und versucht seinerseits Beistand von außen zu erhalten.
Nachdem Blueberry durch einen vorherigen Zellengenossen gelinkt wurde, sucht er nun nach einer neuen Möglichkeit, in die Freiheit zu gelangen. Kelly gibt ebenfalls nicht auf. Da trifft es sich, als Blueberry nach einer neuerlichen Züchtigung aufgibt und verspricht, die Soldaten zum Versteck des Goldschatzes zu führen. Außerhalb des Gefängnisses, so seine Annahme, sollte es leichter sein, seinen Bewachern zu entkommen. Und Kelly fällt auf die Finte herein.
Bald schon macht sich Blueberry unter strenger Bewachung auf den Weg in Richtung El Paso, dort, wo nach eigenen Angaben das Gold zu finden sein soll.
Bei einer Zugreise kommt Blueberry vom Regen in die Traufe. In einem der Wagons befindet sich ein stark bewachter Geldtransport: Noch mehr Soldaten. Die Chancen, tatsächlich entkommen zu können, werden nicht besser, sondern immer schlechter. Blueberry rechnet sich inmitten der schwer bewaffneten Männer schon keinerlei Chancen mehr aus, als es passiert: Ein Überfall.
Die Verschwörung, der 8. Band der Blueberry Chroniken, vereint die beiden Folgen
Vogelfrei und Angel Face miteinander. Mike Blueberry wird in der Tat in kompliziertes Geflecht einer Verschwörung hineingezogen, in der er als Sündenbock herhalten soll – wer wäre dazu besser geeignet als verurteilter Soldat, der immer durch Aufsässigkeiten auf sich aufmerksam gemacht hat.
Jean-Michel Charlier nutzt in seiner Erzählung einmal mehr die andere Seite des Blueberry aus, jene offizielle Seite, die sich in Akten und Steckbriefen niederschlägt. Bereits zuvor, in der Trilogie um das Südstaatengold, wurde ihm sein Ruf zum Verhängnis.
War er lange Zeit ein Kriegsheld und als Vermittler zwischen Indianern und Weißen bekannt, ist er nun zum Gesetzlosen wider Willen geworden.
Mit dem Wandel der Figur, des Flüchtigen, der sich gegen sein Schicksal aufbäumt, geht auch ein Wandel in der Gestaltung des Charakters einher. Jean Giraud hatte Blueberry lange Zeit als harten Kerl gezeigt, der durch diverse Torturen ein gestandenes Mannsbild geworden war – ähnlich wie das künstlerische Vorbild Jean-Paul Belmondo. Hier wendet sich das Bild. Blueberry ist kaum noch zu erkennen – na, eigentlich schon, aber in der Tat zeichnet Giraud seinen Helden so, wie ein Mensch aussieht, der gequält und erniedrigt wurde, nicht genügend Wasser und Nahrung bekam und die meiste Zeit in einer kleinen muffigen Zelle zubringen musste.
Dieser neue Blueberry hat seine längeren Haare einbüßen müssen, sein Gesicht ist eingefallen – Blueberry wirkt viel älter, als es der zeitliche Abstand zwischen der Geschichte um das Südstaatengold und seinen neuen Status als Gesetzloser erlauben würde.
Überhaupt tobt sich Giraud in diesen beiden Abenteuern an Gesichtern aus. Man fühlt sich als Leser in die großen Spaghetti-Western eines Sergio Leone versetzt, in denen großformatige Einstellungen von Gesichtszügen noch das letzte Zucken eines Augenlides auf die Leinwand brachten.
Kelly, einer von Blueberrys Gegenspielern, hätte gut und gern von Lee van Cleef gespielt werden können, mit breiten und hohen Wangenknochen, einem Bärtchen und leicht geschlitzten Augen, ist hier das Paradebeispiel eines Intriganten. Eine Guffie Palmer, eine dickliche Frau mit bewegter Vergangenheit, ist eine Art guter Geist, eine Mutterfigur, die wahrhaftig alles dafür gibt, damit die Wahrheit ans Licht kommt. Eine weitere Frau, die Blueberry aus den Flammen rettet, weiß auch das Gute in dem Mann zu erkennen. Knurrig, alt und gelähmt, trägt sie ebenso das Herz auf der Zunge wie Guffie und wirkt ein bißchen wie eine weibliche Version von Blueberrys altem Freund Jimmy.
Faszinierend ist die Auswahl eines Gegners und Schurken: Angel Face. Der Spitzname dieses jungen Mannes ist Programm. Derart hübsch und weich aussehend, dass er sich als Frau durchmogeln kann, ist er doch eine der tödlichsten und skrupellosesten Charaktere in diesem Drama.
Ob als Beschreibung durch Charlier oder als Zeichnung von Giraud, die diesen Charakter natürlich enorm stützt, Angel Face geht ganz in der Tradition von tragischen Gangstern wie Pretty Boy Floyd oder Billy The Kid auf. So gönnt Giraud seinem dunklen Helden auch nicht den Tod, sondern etwas viel schlimmeres. Allein diese Auflösung, wie auch jede Wendung innerhalb des Handlungsstrangs – und davon gibt es viele – ist ein gutes Beispiel für den Erzähler Charlier, der zwar nicht alles immer neu erfand, aber es verstand, immer die richtige Mischung aus Erzählelementen zu treffen. Darüber hinaus lässt es sich wohl behaupten, dass es nur wenige Blueberry-Geschichten gibt, die ähnlich reich an Wendungen und Hakenschlägen sind und den Leser stets in eine andere Richtung führen. Charlier lässt sich keine Gelegenheit entgehen, um auch nicht die geringste Möglichkeit zur Vorhersage eines Schlusses zu geben.
Girauds Gesichter: Bereits erwähnt, bedarf es dennoch noch einer kleinen Lobeshymne. Die Gesichter, die Giraud, der spätere Moebius, hier abliefert, sind vermutlich ein Grund dafür, warum seine Fan-Gemeinde ihm die Vereinfachung in seinen späteren Zeichnungen so vehement vorwarf. Im Film würde man sagen: Selbst die kleinste Nebenrolle ist perfekt besetzt. Das trifft es. Ob es die Detektive von Pinkerton sind oder der kleine Soldat, der Blueberry durch die Kontrollen hilft, Giraud hat stets den richtigen Akteur zur Hand.
Western, Drama, Thriller in einem Band. Charlier und Giraud nutzen die Umbruchwelle nach dem Bürgerkrieg zu einer überaus spannenden Geschichte, in der sich Blueberry nur mit großer Mühe retten kann. Nur selten zuvor wurden ihm so viele Steine in den Weg gelegt. So wild und nervenaufreibend kann der Westen sein. 😀
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