In dieser Welt sind die Mutanten die beherrschende Kraft. Der Homo Superior hat es geschafft. Aber wie? In den vergangenen Jahren sind die Kämpfe und Auseinandersetzungen unzählbar geworden. Die Veränderung kommt so schnell wie ein Filmriss. Für alle ist dieser neue Zustand die normalste Sache der Welt. Für alle? Nein, nicht für alle!
Die, oder besser der Unbekannte in der Gleichung ist ein wölfischer Mutant namens Wolverine. Vor seinem geistigen Auge tauchen plötzlich Bilder auf, die nichts mit der aktuellen Realität gemein haben. Als er erwacht, hat er nicht nur eine rothaarige Frau in seinem Bett, die sich kurz darauf als Mystique entpuppt, er befindet sich außerdem an Bord des Shield Carriers – jedenfalls erinnert das riesige Transportvehikel vage daran.
Mein Leben. Ich weiß alles. Alles.
Kurzerhand lässt sich Wolverine von der Landefläche des Carriers in die Tiefe fallen. Was er hörte, hat ihn zutiefst schockiert. Lord Magnus? Sapiensschweine wurden bei einer Operation in der letzten Nacht getötet? Nein, hier stimmt gar nichts mehr, aber Wolverine ist bereit, herauszufinden, was hier geschehen ist.
Das House of M gehört zu einer Reihe von Umwälzungen im Marvel-Universum während der letzten Jahre. Für meine Begriffe gehört es auch zu den einfallsreichsten und hat zeitweise noch mehr zu bieten als das alternative Ultimative Universum.
Die Scarlett Witch hatte ihre Kräfte nicht mehr unter Kontrolle, was zum Ende der Rächer führte. Doch diese Katastrophe war nichts im Vergleich zu den Ausmaßen der neuen Kraftanstrengung der Witch. Die ganze Welt wird durch ihre Chaosmagie vollkommen umgekrempelt. Ihr Vater, Magneto, hat endlich das, was er sich sehnlichst wünschte: Die Herrschaft über die Welt. – Fast, jedenfalls. Niemand würde es zu diesem Zeitpunkt wagen, sich ihm zu widersetzen. Ein paar Unbelehrbare wie Dr. Doom gibt es zwar immer, allerdings kann Magneto an ihm eindrucksvoll beweisen, wie stark seine Kräfte wirklich sind.
House of M war als kurzes Marvel-Ereignis eine ziemliche Überraschung – eine sehr positive wohlgemerkt. Denn in dieser alternativen Realität, in der einige Menschen, Mutanten eingeschlossen, über ihre alte Vergangenheit Bescheid wussten, ergaben sich für Star-Autor Brian Michael Bendis zahlreiche Möglichkeiten, seine Haken schlagende Phantasie anzuwenden und den Leser auf eine rasante Tour mitzunehmen. Auch die übrigen Geschichten, die sich ereigneten, so beispielsweise ein Hulk, der in Australien eine Heimat gefunden hat, hatten es in sich und konnten neue Seiten altbekannter Helden und Schurken aufzeigen.
Bildlich ist hier Olivier Coipel am Werk. Technisch vielleicht eine Spur besser als ein Frank Cho, aber ebenso gut wie ein David Finch. Kurzum, die Zeichnungen sind wirklich Aufsehen erregend gut, oder leidenschaftlicher gesprochen: Allererste Sahne!
Die Sentinels, ehemals dazu gedacht, Mutanten zu jagen und zu exekutieren, gehören nun zu den Wachen des Hauses von Magnus. Ihr Aussehen ist durch die fein ziselierten Helme fast schon mittelalterlich, ritterlich zu nennen. Sie wirken skelettartiger und gruseliger als ihre originalen Ebenbilder.
Die Männer sind breit und wuchtig, ihre Stiernacken nicht zu übersehen. Die Frauen sind wunderschön und so manche, die immer schon wundervoll dargestellt wurde, hat nun, wie eine Storm, noch einmal zugelegt. Dies sogar im wahrsten Sinne des Wortes.
Kleine Finessen finden sich in der Darstellung des Captain America, der von der Gedankenwelt der Scarlett Witch nicht bedacht wurde und nach dem Zweiten Weltkrieg in Würde alterte.
Nun, vielleicht nicht ganz in Würde, denn die Vereinigten Staaten haben ihren Kriegshelden offensichtlich vergessen. Nun lebt er in einem heruntergekommenen Gebäude in der Bronx.
An anderer Stelle gibt Bendis den Helden eine sehr dramatische Note, so wie bei Spider-Man, der mit Gwen Stacy verheiratet ist und nun feststellen muss, dass alles, was er an diesem Leben lieben gelernt hat, eine fürchterliche Farce ist.
Auch Hawkeye, von dem der Leser annehmen musste, dass er tot sei, ist wieder da. Über seinen Tod in der wirklichen Welt ist er alles andere als begeistert. Dieser Held wird zum Zünglein an der Waage, zum Überraschungselement.
Genosha, der Staat, der in der Realität ein schreckliches Schicksal erfuhr, ist hier zu einem Zentrum der Macht geworden. Glanzvoll und königlich steht es im Gegensatz zu den Erweckungen der einzelnen Recken, die einem Mutanten zu verdanken sind, der eine besondere Fähigkeit besitzt, die in der Realität nicht diesen Nutzen hat. Fast wirkt es wie eine Rückversicherung der Scarlett Witch.
Ein gelungener Alptraum, den die Helden, Mutanten wie Menschen, hier durchleben müssen. Nach einem Filmriss ist alles anders. Dramatisch, tragisch, spannend, Brian Michael Bendis stellt unter Beweis, warum er zu einem der bevorzugten Marvel-Autoren gehört. Durch Zeichner Olivier Coipel und der tollen Kolorierung von Frank D’Armata hat der Leser mit diesem Sammelband ein tolles Comic-Erlebnis. 😀
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