Das Wort Gottes ist nicht für alles die Lösung. Diese Erfahrung muss der Preacher machen, als er wieder nach Hause zurückkehrt. – Gegen seinen Willen zurückgekehrt wird, sollte man sagen. Es ist alles andere als ein Heim, was ihn erwartet. Es ist die Hölle auf Erden. Jesse Custer, der Mann, der so vielen Freaks in seinem Leben begegnete, hat eine Höllenangst vor seiner Großmutter.
Laut Umschlagtext wird Garth Ennis mit Quentin Tarantino verglichen. Ennis geht aus meiner Sicht noch einen Schritt weiter. Ennis‘ Freaks sind noch freakiger. Kinofilme müssen massentauglich sein, Tarantino-Filme müssen ihr Geld einspielen. In einem Comic lässt sich die Zielgruppe viel besser eingrenzen, Experimente sind erlaubt. Und Ennis experimentiert!
In der vorliegenden zweiten Zusammenfassung der Geschichten um den Preacher Jesse Custer und seine Freundin Tulip O’Hare entwickelt sich eine Achterbahnfahrt, die sich ausnimmt wie eine Kreuzung aus Muttertag, Near Dark und einer Monty Python-Folge. In den versteckten Wäldern, Sümpfen, Bergen und Tälern tummeln sich gar merkwürdige Gestalten, irre Sekten oder Unabomber. Custers Verwandtschaft, noch lebende Verwandtschaft, sind genau jene Gestalten, die Kehrseite des amerikanischen Traums. Die Großmutter ist einem religiösen Zehrbild aufgesessen. Nicht umsonst heißt das heimatliche Anwesen Angelville – obwohl die himmlischen Wesen die letzten sind, die sich hier ansiedeln würden. Jody ist der Mann für’s Grobe, sein Kumpel T.C. ist der Mann für – nun, die meisten werden vermutlich gar nicht wissen wollen, für welchen Fall T.C. der richtige Mann ist.
Hüllen wir den Mantel des Schweigens über die Machenschaften dieses Freaks und beschäftigen uns mit der Vergangenheit von Jesse Custer. Ennis erzählt hier die Geschichte in einer Geschichte. Wir erfahren von Billy-Bob, Jesses einäugigem Jugendfreund, der durch einen unglücklichen Zufall in die Fänge von T.C. gerät und sein Leben lässt – bei seiner Familie hinterlässt er dadurch eine große Lücke, kann er doch so nicht mehr seine Schwester heiraten, eine Hochzeit, die seit Kindesbeinen an geplant war. – Die Welt von Ennis ist halt ein bißchen anders.
War schon die Kindheit des Preachers die Hölle, ist die Heimkehr der Gipfel der Perversion. Es kommt zum Endkampf, der Preacher kann seine Rache üben. Und wieder: Ennis gestaltet seinen Showdown anders als die anderen. So ist das Ende der Großmutter kein normaler Tod, sondern ein Höllenritt. Damit stellt er auch den Cover-Zeichner Glenn Fabry (immer wieder absolut exzellent) vor eine größere Herausforderung. Aus einer schwarz-brutalen Tarantino-Farce wird mit dieser Szene ein Slapstick-Höhepunkt.
Ist der erste Teil der Zusammenfassung vor einem Inzest-Szenario in der hinterletzten Ecke der USA angesiedelt (Einwohner aus Phoenix, Arizona mögen mir verzeihen), geht es in der Folge in die Stadt, in der man Blumen im Haar trage sollte: San Francisco.
Richtig ist, dass Ennis die Sünde in San Francisco blühen lässt. Tatsache ist auch, dass Zeichner Steve Dillon mit seiner Arbeit irgendwie den Anschein erweckt, er habe am zweiten Teil mehr Spaß gehabt als am ersten. – Ein rein subjektiver Eindruck, der vor allem von der Gestaltung von Jesses Freund Cass herrühren kann. Dieser Vampir, übrig geblieben von der letzten Hippie-Periode, wird sogar am Ende mit Jesse verwechselt. Dieser Richtungswechsel in der Gesamthandlung der Reihe bringt die geheimnisvolle Hintergrundorganisation in die Geschichte ein, die heute in keinem Thriller fehlen darf.
Einer der Intriganten ist Mr. Starr, ausführender Arm einer religiösen Vereinigung, jemand, der seinen Job nur ertragen kann, der er von Zeit zur Zeit sehr schmutzigen – also, wenn er, na, wenn er mal so richtig, aber das wird bei Untergebenen nicht so recht verstanden. Als ihm zu diesem Zweck eine Prostituierte angefordert werden soll, gelingt leider ein kleiner Missgriff. Mr. Starr vermag sich nicht gegen die männliche Prostituierte zu verteidigen und schwört bittere Rache.
Diese Rache gegen Bob Glover und Freddy Allen geht im anschließenden Durcheinander beinahe verloren. Und eben dieses Durcheinander ist es, mit dem Ennis seinen Sinn für Situationskomik beweist. Ein Rädchen greift ins nächste, der Worte bedarf es nicht, Lacher sind garantiert – oder sie bleiben einem im Halse stecken, auch eine Form von Ennis‘ Humoreinsatz.
Und es ist auch ein Beweis für Ennis‘ Erzählkunst, dass am Ende ausgerechnet ein Vampir derjenige ist, für den das Mitleid das größte ist.
Es ist aber auch ein Verdienst von Steve Dillon, der mit den Charakteren auf seine skizzenhafte Art so gut verfährt. Jener Charakter, der seine Augen ständig mit einer Sonnenbrille versteckt (und eine Katze im Klo), Cassidy, ist der ehrlichste und aufrichtigste, auf seine Art. Ein Nachteil ist, dass Dillons Figuren einander sehr ähneln. Wer seine Versionen des Punishers oder des Wolverine gesehen hat, wird darin auch den Preacher wiedererkennen.
Preacher – Blut ist dicker. Eine sehr dicht erzählte Handlung über und aus einer Welt, die sich in den Köpfen von sehr seltsamen Menschen abspielt. In Teilen mag sie so ungewöhnlich nicht sein, in dieser Konzentration ist sie pure, bitterböse Unterhaltung über, aber auch bis tief unter der Gürtellinie. Ennis, das ist Tarantino im Quadrat, nicht jedermanns Sache, aber gut gemacht. 🙂
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