Als die Könförderation die Menschen in ihre Organisation der Völker aufnahm, stieß diese Aufnahmebereitschaft nicht bei allen auf Begeisterung. Besonders unter den Menschen, die mit Extraterrestriern nichts zu tun haben wollten, regte sich starker Widerstand in Form von Terrorismus – dieser bewaffnete Kampf gipfelte in der Zerstörung eines Referendums mit abertausenden von Mitgliedern.
All dies liegt inzwischen lange zurück. Kein Anschlag hat die Aufnahme der Menschheit in die Konföderation verhindern können. Inzwischen ist sogar ein Mensch in die IDA berufen worden, der Interplanetarischen Diplomatischen Abteilung.
Kaleb Swany ist der erste menschliche diplomatische Agent. Eigentlich sollte er vor Stolz vergehen, allerdings ist Kaleb auch ein Profi, der sich vor seiner Aufgabe zurückzunehmen weiß. Dennoch erwartet ihn mit seinem Partner eine große Hürde. Diplomatische Agenten arbeiten immer als Duo, im so genannten Binom. Sein Partner ist ausgerechnet Mezoke Izzua, ein Angehöriger vom Volke der Sandjaren. Vor langer Zeit hatten die Menschen die Sandjaren überfallen und an den Rand der Ausrottung getrieben. Dieses neue Binom wird von der IDA als Zeichen neuer Verständigung ausgeschickt.
Die erste Aufgabe ist alles andere als leicht. Wieder sind es Menschen, die in einen Konflikt verwickelt sind. Auf einem Erzmond haben sich menschliche Siedler niedergelassen, einzig, weil sie nicht wussten, wo sie sonst bleiben sollten. Lange haben sich die wirklichen Besitzer, die Jäwloden nicht um diese Besiedlung gekümmert. Ein gutes Leben ist auf diesem unwirtlichen Felsbrocken nicht möglich. Die Jäwloden selbst legen keinen Wert darauf. Doch nun haben sich die Vorzeichen geändert. Die Jäwloden haben Missernten eingefahren. Die von den Menschen erschlossenen Erzadern könnten die finanzielle Misere ausgleichen. Ein neuer bewaffneter Konflikt steht bevor, denn ein anderes Volk hat sich bereits angeboten, die Jäwloden in ihrem Kampf gegen die Siedler zu unterstützen.
Sylvain Runberg und Serge Pellé haben ein vor Details strotzendes und sehr ernstes Science Fiction Universum geschaffen. Beide, der Autor wie auch der Zeichner lassen sich ungewöhnlich viel Zeit, um den Leser auf die eigentliche Geschichte einzustimmen.
Sie lieben auch die Darstellung der Gegensätze. Nach dem Auftakt, der den Anschlag auf die Referendumshalle in einem verschneiten Prag der Zukunft zeigt, wird mit der Orbital-Station gleich die nächste optische Superlative präsentiert. Der Ausflug in den Weltraum ist auch erzählerisch ein Gegengewicht. War gerade alles noch eng und übervölkert, steht diesem Aspekt die Weite des Alls gegenüber, wie auch die eigentliche Station, die mit ihrer Größe alles von Menschenhand Geschaffene in den Schatten stellt.
Bereits nach wenigen Seiten ist es klar, dass hier zwei Macher am Werk waren, für die es eine riesige Lust bedeutete, sich in einem kompletten Weltenszenario austoben zu können. Ein gutes Beispiel ist die Versammlung der neuen IDA-Agenten. Es ist eine Vielfalt und Optik, die der Genre-Fan von Star Wars, Perry Rhodan oder Valerian und Veronique her kennt. Es mag müßig sein, immer einige Paradebeispiele des Genres zum Vergleich anzuführen, doch Neuerscheinungen müssen sich auch bestehenden Produktionen messen lassen. Gerade Serge Pellé scheint ein Einmann-Designstudio zu sein. Seine bisherigen Arbeiten an Bühnenbildern, Videospielen und Trickfilmen und die daraus gewonnene Erfahrung zeigt sich trefflich auf jeder einzelnen Seite.
Bereits nach kurzer Zeit ist man als Leser in dieses Universum eingetaucht. Denn dann hat man als Leser die Räumlichkeit des Comics angenommen und kann sich von der Geschichte mitreißen lassen.
Interstellare Intrigen, Hass, Verfolgungsjagden, eine Kriminalgeschichte, der schiere Kampf ums Überleben gegen die Elemente wie auch außerirdische Kreaturen, die gleich zu hunderten angreifen. Das Eintreffen der beiden Agenten auf dem Mond zeigt eine fürchterliche Welt. Kalt, mit Dauerregen, steinig, düster, trostlos. Es ist ein Setting wie aus Aliens oder Outland. Es ist zweifelhaft, dass die beiden Macher sich nicht ein wenig Inspiration aus anderen Geschichten holten – und sei es nur, weil sie schlicht und ergreifend damit aufgewachsen sind.
Zu einer düsteren Umgebung passen düstere Monster, Tentakel, Schleim, glühende Augen, am besten im Dutzend oder mehr. Das Aussehen der Stiwuhls bleibt diffus, undeutlich, nicht zuletzt deshalb, weil diese Kreaturen mit einer irrsinnigen Geschwindigkeit angreifen. Im Regen verbirgt der stete Fall der Wassertropfen außerdem gnädigerweise das, was sie mit ihren Opfern anstellen. Aber die Gesichter der Angegriffenen sprechen Bände. Das ist Scifi-Horror erster Güte.
Doch das ist nicht alles. Hinzu kommen die Einzelschicksale, die Verluste und Ängste, Liebe und Treue. Zur optischen Gestaltung greift auch die Tiefe der Erzählung. Im Kern geht es um das Binom. Kaleb und Mezoke werden ein gutes Team, sogar frei von Spannungen. Wer Szenarien wie in der Kinofassung von Alien Nation erwartet, wird enttäuscht. Kaleb ist ein Charakter, der über Zwietracht hinausgewachsen ist, der sich nicht an Aussehen oder Herkunft stößt – vielleicht hat er auch ein ganz klein wenig ein schlechtes Gewissen wegen des Überfalls auf die Sandjaren, obwohl er davon nicht betroffen ist. Mezoke hingegen ist undurchsichtiger, sehr fähig und hinterlässt bei dem Leser den Eindruck von lieb. Ein solcher Eindruck entsteht selten, aber Mezoke ist schlichtweg lieb.
Mit der Hintergrundgeschichte der Sandjaren sind noch zahlreiche Geheimnisse verhüllt, von denen letztlich auch Mezoke betroffen ist. Auch die Tatsache, dass niemand weiß, welches Geschlecht ein jeweiliger Sandjare eigentlich hat, bevor er es nicht selbst offenbart hat, dürfte bei Kaleb sicher auch noch für eine Überraschung sorgen.
Mit der prallen Länge von über 100 Seiten, einem optisch sehr echten Universum, das vor Details beinahe platzt, ist hier eine handfeste Science Fiction Geschichte entstanden, die wegen ihres hervorragenden Weltenbaus für andere Produktion wegweisend zu nennen ist. In der ersten Ausgabe von Orbital steckt derart viel Arbeit, dass es unglaublich ist, dass nur zwei Leute daran gearbeitet haben. Packend, sympathisch, mit sehr viel Tiefe. Besser geht’s nicht.
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