Eigentlich soll es für alle Beteiligten nur ein Ausflug sein, eine gemütliche Fahrt in einem Reisebus. Doch leider wird aus der Landpartie eine Geiselnahme. Inspektor Canardo, der selbst einen ausgiebigen Urlaub machen wollte, erhält plötzlich einen Hilferuf per Telefon, denn ausgerechnet einer seiner Freunde, Kommissar Garenni, befindet sich an Bord des Fahrzeugs.
Garenni muss nicht nur das beständige Nörgeln seines Schatzis ertragen. Viel schlimmer ist der Geiselnehmer, der irgendwie nicht auf vernünftige Art ansprechbar wirkt. Adi, so der Name des Mannes, eines Giganten mit Dauerhunger und Dauerdurst, stand bisher unter psychologischer Beobachtung, weil er nachweislich gemeingefährlich ist. Mit einer Kaffeefahrt zu einer Bierbrauerei hat niemand rechnen können.
Das Besondere an den Geschichten um Inspektor Canardo ist der Zwiespalt zwischen Optik und Erzählung. Wer die Optik, die grafische Darstellung betrachtet, kann der fälschlichen Annahme aufsitzen, es mit einer leichten Geschichte zu tun zu haben, vielleicht ein wenig im Disney-Stil. In Wirklichkeit sind die Geschichten sehr ernsthaft, ernsthafter als jeder Fernsehkrimi und besitzen den nötigen Schuss pechschwarzen Humors. Inspektor Canardo, die Kernfigur, ist äußerlich stets lässig und steht der Obrigkeit wie auch so genannten Leuten, die etwas zu sagen haben, immer etwas sperrig und mit einem vorlauten Mund- – Verzeihung – Schnabelwerk gegenüber.
Wie ernst diese Geschichten sind, leuchtet jedem Leser schnell ein, wenn die ersten Toten zu beklagen sind. Adi, oder besser Adolphe Tincré, ist ein brutales und dummes Kind im Körper eines riesigen dicken Mannes, der sich mit Waffengewalt nehmen will, was ihm gerade in den Sinn kommt. Vorbestraft wegen Vergewaltigung und Körperverletzung hat er sich nicht nur in den Besitz eines Revolvers gebracht, sondern sich außerdem noch Dynamitstangen um den Körper gebunden – spätestens jetzt sollte dem Leser klar werden, dass es der Autor Benoit Sokal todernst mit seiner Kriminalgeschichte meint.
Adi ist absolut unberechenbar. Einzig ein kleiner Junge scheint eine gewisse Narrenfreiheit bei ihm zu besitzen. Während seine Eltern Blut und Wasser schwitzen, bittet das Kind Adi sogar um einen Hamburger – und bekommt ihn.
Adi dürfte der Alptraum eines jeden Sondereinsatzteams sein. Er redet kaum, will auch gar nicht reden, will nur, dass seine Forderungen erfüllt werden. Wenn er nicht redet, schießt er. Für die Geiseln dürfte ein solches Einsatzteam ein Alptraum sein. Es agiert ein wenig hilflos. Es mag den Anschein, einer Parodie haben. Wer allerdings Vergleiche zu älteren Geiselnahmen heranzieht, während derer die Vorgehensweise noch nicht so trainiert war, wie es heute der Fall ist, kann dieses Hickhack gut nachvollziehen.
Schließlich ist es Canardo, der das Blatt wenden soll.
Diese Ente mit dem Hang zu einem lockeren Spruch gerät in diesem Fall an ihre Grenzen, denn an einer Person wie Adi, einer überdimensionalen Bulldogge, prallen seine Sprüche wie auch seine Beschwichtigungsversuche einfach ab.
Der Schluss ist außergewöhnlich schwarzhumorig und bedarf nur eines Wortes, was diesen Showdown nur umso schauriger macht. Wie Sokal diesen Schluss aufbaut, ihm Schritt für Schritt in der Handlung entgegenstrebt, ist rückblickend richtiggehend gruselig. Aber es ist auch gruselig gut erzählt.
Die Notlösung, die sich Sokal einfallen ließ, springt ein wenig aus der ansonsten gut durchdachten Handlung heraus und ist nicht so glaubwürdig. Diese Idee sei dem Autor im Sinne eines überraschenden Endes mehr als verziehen.
Grafisch bewegt sich Sokal mit dieser 16. Episode seines Helden Canardo auf gewohnt gutem Niveau. Fans von ernsten Geschichten, in denen Tierfiguren den Part von Menschen übernehmen, sind nicht häufig, aber häufig sind diese Geschichten sehr gut. Eine derart lange Laufreihe wie hier ist ein gutes Indiz für Qualität und auch verdienten Erfolg.
Mit den Tierfiguren gelingt Sokal eine hervorragende Charakterisierung seiner Darsteller. Dies trifft nicht nur auf die dicklippige Ente mit dem viel zu großen Schnabel zu. Auch der schmale Hase Garenni ist mit seiner recht üppig geratenen Ehefrau für so manche Interpretation gut.
Tragisch, spannend, kurios, komisch, all diese Elemente vermischen sich in dieser Episode zu einem gelungenen Krimi, der mit einem der gemeinsten Schlussszenen seit langem aufwarten kann. Daumen rauf für diesen neuen Einsatz von Inspektor Canardo. 🙂
Ein Fall für Inspektor Canardo – Ein dummer Hund: Bei Amazon bestellen
Oder bei Schreiber & Leser.