Yiu lebt in einer trostlosen Zukunft. Das Leben der Menschen ist stark verlängert. Aus heutiger Sicht ließe sich vielleicht auch von Unsterblichkeit sprechen. Doch im Sinne eines medizinischen Systems, dass immer teurer und unerschwinglicher wird, können nur noch die Reichen sich eine entsprechende Versorgung leisten.
In dieser Welt, öde, trostlos, lebensfeindlich, verdorben, ist ein richtiges Kind, geboren von einer richtigen Frau, eine Besonderheit, fast schon etwas Heiliges. Ein solches Kind verdient jegliche Beachtung, die nur möglich ist. Ein solches Kind zieht auch die Aufmerksamkeit krimineller Elemente und Terroristen auf sich. In dieser Zukunft sind die Bedingungen allerdings anders als in unserer Gegenwart: Neid kann zu einem wichtigen Antrieb für den Terrorismus sein. In diesem Fall ist es der Neid auf eine natürlich geborene Existenz.
Das Kind wird entführt. Die Forderung lautet: 198.000 Dollar. Trifft das Geld innerhalb von 48 Stunden ein, stirbt das Kind einen sauberen und schnellen Tod. Ansonsten wird es leiden, 72 Stunden lang.
Es geht nicht mehr um Leben und Sterben. Es geht nur noch darum, wie man stirbt.
In der Welt von Yiu sind Lebensformen entstanden, die es eigentlich so nicht geben dürfte. Diese Wesen ließen sich Menschen nennen – wenn sie es denn selber so wollten. Ihre Existenz ist brutal, einsam. Sie sind Die Armee des Neo-Mülls. Menschliche Körper, die nur dazu gezüchtet wurden, um ausgeschlachtet zu werden, als Ersatzteillager für den originalen Menschen, dessen Klon sie sind. Diese Wesen haben nichts zu verlieren, nur zu gewinnen.
Yiu ist nur 16 Jahre alt, als sie den Auftrag annimmt, das Kind zu befreien. Das kleine Mädchen befindet sich in einem elendig langen und schwer bewaffneten Zug, der sich seinen Weg durch eine verschneite Landschaft bahnt. Yiu hat nicht mehr viel Zeit, doch sie bewältigt die schwierige Aufgabe scheinbar mit absoluter Leichtigkeit.
Yiu – Die Armee des Neo-Mülls von Téhy, J.M. Vee und Vax entführt in eine Zukunft, die grauenhaft, düster ist. Eine Welt, in der sich High-Tech und tragische Gestalten treffen, eine Mischung aus Blade Runner und Runaway Train, schnell, wie der Zug, auf dem die Handlung stattfindet.
Téhy und J.M. Vee sind für das Szenario verantwortlich, das wohl zu den schlimmsten Zukunftsbildern der letzten Jahre im Comic-Genre, vielleicht auch im Science Fiction-Genre gehören dürfte. Die Autoren haben eine Hauptfigur geschaffen, die selber nicht ganz freiwillig diesen gefährlichen Auftrag übernimmt. Yiu ist selbst noch ein Kind, jedoch ein selbst ein gefährliches, hier sogar ein tödliches, dessen Fähigkeiten ein wenig an starke junge Frauen wie Dark Angel erinnern.
Der Start der Geschichte bietet eine kurze Einleitung, bevor Yiu zu Werke geht. Ihr Einsatz beginnt mit einem Absprung, den sie im freien Flug bewältigt. Noch im Flug gerät sie unter Beschuss, gleich bei ihrer Landung tötet sie ihre ersten Gegner. Yiu führt ihren Kampf mit äußerster Brutalität, aus der Not geboren, sie tötet, wie es sich gerade ergibt. Nicht elegant, so doch wenigstens so schnell wie möglich.
Zuerst ist es nicht ersichtlich, wohin sich die Geschichte bewegt. Sicherlich ist eine gelungene Action-Handlung unterhaltsam, aber sie hinterlässt keinen nachhaltigen Eindruck.
Yius Einsatz erfährt immer mehr Tiefe, je mehr Informationen sie über den vorliegenden Fall erhält. Es mag schwierig sein, Mitleid mit diesen Kreaturen zu empfinden, die das Kind entführt haben, aber ihre Motivation erfährt eine glasklare Begründung – jedenfalls aus einer verzweifelten, verdrehten Sicht heraus.
Denn verzweifelt sind diese Wesen, die sich bemühen, mittels zahlreicher Implantate doch ein Leben zu führen, wenigstens irgendein Leben.
Je mehr die Geschichte ihren Lauf nimmt, desto mehr raubt sie Illusionen über eine gute Wendung. Die Autoren lassen den Leser voll auflaufen. Ungewöhnlich, aber drastisch, realistisch, denn ein möglicherweise zu Herzen gehender Schluss hätte nicht gepasst – obwohl, bei genauer Betrachtung geht auch dieser Schluss zu Herzen, nur eben ganz anders, als man es erwartet hätte.
Die drastische Geschichte bringt hier auch eine drastische Optik mit sich. Téhy, der hier zweigleisig arbeitet, und Vax erschaffen hier zusammen mit dem kolorierenden Team von Oxom FX eine ungeheuer düstere Sicht auf die Handlung. Die Technik, das Design der Anzüge wie auch der Kreaturen könnte den Hirnen der Erfinder der Borg entsprungen sein. Wer sich diese SciFi-Wesen in einer verwahrlosten Zukunft vorstellt, die Star Trek so niemals zeigen würde, kommt der Atmosphäre, die sich bei Lesen einstellt, schon recht nahe.
Yiu ist keine Geschichte für Fans von Hochglanz-Science Fiction. Hier wird geschossen, geschlagen, seziert, zersäbelt, explodiert. Brutalität ist hier ein Abbild des Grundgefühls dieser Welt. Die Wesen des Neo-Mülls sind nichts wert und werden gnadenlos beseitigt. Die bildliche Darstellung fällt entsprechend aus und versteckt nichts.
Nichtsdestotrotz ist der Auftakt von Yiu grafisch höchst beeindruckend und aufwändig gestaltet. Hier werden viele Möglichkeiten der computerunterstützten Kolorierung bis an die Grenze ausgereizt.
Ultra spannend, aber auch ultra brutal, ein sehr genau durchstrukturiertes Szenario mit viel Hintergrundwissen der eigens erfundenen Welt in Szene gesetzt, man nehme zur Sounduntermalung einen fetzigen Heavy Metal Track und tauche ab in absolut düstere SciFi – nichts für schwache Gemüter! 🙂
Yiu – Die Armee des Neo-Mülls: Bei Amazon bestellen