Ein Bayou in Louisiana. In den Sümpfen geht alles seinen gewohnten Gang. Aufregung bringen hier die allseits beliebten Ochsenfroschrennen und die Alligatorjagd. Tinkleberry hat dieses Leben satt. Auch der Trost seiner kleinen Schwester, liebevoll Swampy genannt, hilft ihm nicht darüber hinweg.
Die Aussicht auf eine Heirat und niemals aus diesem Nest herauszukommen, ist ihm ein Gräuel. Doch Tinkleberry hat einen Plan gefasst. Seine Zukunft liegt nicht auf dem Grund eines Sumpfes, sondern in der Luft. Heimlich hat er sich einen Ratgeber bestellt und übt die Bedienung eines Jagdflugzeugs.
Über Swampy brauen sich dunkle Wolken zusammen. Marie Laveau, als Seherin begabt und eine versierte Priesterin des Voodoo, sieht für Swampy eine dunkle Zukunft voraus. Ein kleiner extra für sie hergestellter Talisman soll sie beschützen. Wenig später schlägt das Schicksal schon zu. Zwei Unbekannte töten Swampy!
Nach ihrem Tod ist alles anders. Sie hat sich verändert. Plötzlich liegt ihre Kindheit hinter ihr. Auch körperlich hat sie sich verändert. Aus dem Kind ist über Nacht eine Frau geworden. Ihr Bruder ist auch nicht mehr da. Er hat seinen Traum wahr gemacht und ist zu einer Luftwaffeneinheit gegangen. Doch da ist noch etwas anderes, etwas Furchtbares. Swampy besitzt plötzlich eine Kraft, die aus ihr eine Waffe macht. Diese Veränderungen in ihrem Leben finden ihren Gipfel in einer Begegnung mit dem Präsidenten der Vereinigten Staaten. Der mächtigste Mann der Erde sucht kurz vor dem Eintritt der USA in den Zweiten Weltkrieg nach Frauen mit besonderen Fähigkeiten, die sich zu einer Sondereinheit formen lassen.
Eben befand sich Swampy noch in den Sümpfen. Nun ist sie Agentin im Dienste der USA. Ihr neuer Name lautet: Poison Ivy.
In den 30er, 40er und auch noch in den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts waren Abenteuer möglich. In diesen Jahrzehnten des Umbruchs, als die Technik noch lange nicht ihre Höhepunkte erlebt hatte, als die Welt noch schwarzweiß war, erlebten Abenteuer-, Krimi- und Agentengeschichten eine große Blütezeit. Heute wird immer noch gerne auf die Vorlagen dieser Zeit zurückgegriffen. Indiana Jones ist das Paradebeispiel dieser ganz eigenen Mixtur aus unheimlichem Ambiente, Agenten, Krieg und einer Prise Phantastik als Kinofilm wie auch als Fernsehserie.
Poison Ivy von Philippe Berthet und Yann funktioniert auf ähnliche Weise. Das Schöne bei solchen Geschichten ist, dass sie eigentlich immer gelingen und mit allen Zutaten versehen werden können, die Spaß machen.
Poison Ivy entführt auf amüsante und phantastische Weise in eine Zeit, in der alles möglich war.
Der Startort der Erzählung ist perfekt gewählt. Die Bayous in den USA sind wegen ihrer Abgelegenheit und Urwüchsigkeit ein sehr urtümlicher Flecken Erde, auf die Uhren noch langsamer ticken – so ist jedenfalls die legendäre Sicht auf die Bajous. Hier blüht abseits von New Orleans der Voodoo und die Menschen sehen merkwürdig aus. Einige der Menschen, die in Poison Ivy auftreten, entsprechen genau diesem Klischee. Kleine Anspielungen und Vorkommnisse sorgen für ein deftiges Schmunzeln in den Mundwinkeln. Darunter fallen die erwähnten Ochsenfroschrennen. Wer hier verliert, kann sich auf die Suppe vorbereiten. In die Kategorie der sehr kauzigen Bewohner des Bajous fällt der Gehilfe von Marie Laveau, der immer die Drecksarbeit für sie erledigen muss. Die Auswahl der Zutaten für einen Voodoo-Zaubertrank kann sehr ungewöhnlich sein. (Von den verlangten Mengen einmal abgesehen.) Inmitten eines schönen Abenteuers entsteht so noch die perfekte Comedy.
Verschiedene unheimliche Ereignisse fesseln außerdem an die Geschichte. Swampys Wiedergeburt ist wirklich außergewöhnlich und auch im wahrsten Sinne des Wortes als solche zu erkennen. Hier kann der Einfallsreichtum des Teams Berthet und Yann nur gelobt werden, denn Optik und Erzählung agieren hier optimal Hand in Hand. Zuerst glaubt man sich noch in einer normalen Erzählung. Das Leben im Bajou ist zwar skurril, aber im Bereich des Möglichen. Die Zeichnungen sind glatt, geradlinig, schnörkellos und nichts wird dem Zufall überlassen. Sie transportieren das Gefühl, das beim Betrachten alter Fotografien und Filme aus dieser Zeit entsteht, sehr schön in das Comic-Genre. Das Flair wird durch die naturgetreue Wiedergabe von Fahrzeugen und Flugzeugen gestützt.
Plötzlich verändert sich nicht nur Swampys Leben radikal, die Geschichte nimmt auch eine völlig andere Richtung. Schuld daran ist der Voodoo, der hier nicht als pseudoreligiöse Show praktiziert wird, sondern tatsächlich Wirkung zeigt. Mit dem plötzlichen Leben als Erwachsene verfügt Swampy über die Fähigkeit, mit einem Kuss zu töten. Swampy findet sich bald in einem kuriosen Ausbildungscamp wieder, in dem noch andere Frauen mit außergewöhnlichen Begabungen zu finden sind. Hier haben Berthet und Vann ihrer Phantasie wirklich freien Lauf gelassen. Die ausgefallendste Agentin dürfte Yum Yum Jaw sein, die ungewöhnlichste Kannibalin seit Hannibal Lector.
Dank der Vielfalt und des Ideenreichtums über die gesamte Länge der Geschichte lässt einen die Handlung erst zum Schluss wieder los.
Wie erwähnt, erinnert Poison Ivy an die legendären Cliffhanger-Geschichten, die schon Indiana Jones zum Vorbild hatte. So ist es denn die einzige Nicht-Überraschung, dass auch dieses Abenteuer mit einem Cliffhanger endet. Leider, muss man aus Lesersicht sagen, denn die Anspannung erreicht zum Ende wirklich ihren Höhepunkt.
Sechs Engel für Roosevelt starten im Auftakt von Poison Ivy in ein unglaublich gutes Abenteuer, das mit einem hohen Charme-Faktor erzählt wird. Die Spannung und Unterhaltung entstehen hier aus dem großen Spaß, den die Macher bei der Erstellung dieses Comic-Kleinods gehabt haben müssen.
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