Joe Canelli fristet ein ganz normales Polizistendasein. Die Polizisten kassieren unter der Hand kräftig ab, dafür kann das organisierte Verbrechen ungestört seinen Geschäften nachgehen. – Leider krempelt ein Mord dieses System gründlich um.
Canelli beginnt mit seinen Ermittlungen, die ihn tief in einen Sumpf aus Korruption und dunklen Machenschaften führen wird. Einer der Toten ist eine führende Persönlichkeit aus der Riege der Kriminellen. Canelli versucht den Ermittlungen alle Aufmerksamkeit zukommen zu lassen, die er aufbringen kann. Sein Großvater hat einen leichten Infarkt und muss ins Krankenhaus. Canelli selbst wird von Träumen geplagt, die sehr rätselhaft sind. Ein langer Gang, ein Fremder am Ende des Ganges. Der Gang ist ungewöhnlich. Er wirkt wie ein aufgehängter Steg.
Viel Zeit bleibt Canelli nicht, um mit seiner eigenen Psyche fertig zu werden. Auf den Tod des Kriminellen folgt bald das nächste Massaker. Diesmal ist die Aussage eindeutig, denn es gibt einen Augenzeugen. Polizisten haben das Massaker angerichtet. Sollte diese Information nach draußen dringen, wird der wackelige Frieden zwischen den Fronten zusammenbrechen.
Canelli muss sich entscheiden. Will er der Polizist bleiben, der sich aus allem herausgehalten hat? Der Polizist, den sein Großvater nicht leiden kann? Will er der Polizist sein, der er ist? Oberflächlich und korrupt, nur auf sich bedacht? Oder ein Polizist, der seinen Job macht, obwohl der Weg zwangsläufig lebensgefährlich sein wird?
Mit Kickback hat David Lloyd keinen reinen Thriller geschaffen, dafür ist die Geschichte viel zu vielschichtig. Canelli und seine Familie, seine Vergangenheit sind ebenso ein wichtiges Thema wie der eigentliche Kriminalfall. Über die Verbecherjagd findet Canelli wieder zu sich selbst.
Die Geschichte erschließt sich dem Leser zunächst über die Optik. Grafisch gewinnt man schnell den Eindruck von überarbeiteten Fotografien – aber es ist eben nur ein Eindruck. Denn in Wahrheit ist es kein Filmfotoroman, der hier mit einem Computerretuscheprogramm bearbeitet wurde. Lloyd hat seinen ganz eigenen Stil gefunden, um einer Geschichte Authentizität zu verleihen. Die schwarzen Linien sind extrafett gezogen, aber mit einer derartigen Präzision, als wären ihnen per Retusche noch einige Pixel hinzu gegeben worden.
Die Kolorierung folgt keiner gängigen Prozedur. Wer alte Schwarzweißfilme gesehen hat, die nachträglich koloriert wurden, in den frühen Tagen, als diese Prozedur noch von Hand erfolgte, kann sich einen gedanklichen Eindruck dieser Bilder von David Lloyd machen. Schatten sehen getuscht aus, könnten zum Teil aber auch mit einem Bleistift grob aufgerieben worden sein.
Grafisch wehrt sich die Geschichte ein wenig gegen den Betrachter – anders kann ich es nicht ausdrücken. Aber es ist auch eine Welt, die man nicht betreten möchte, die man lieber von außen betrachtet (ebenso wie V wie Vendetta, das von David Lloyd in Bilder gebannt wurde).
Lloyd arbeitet mit unterschiedlichen Perspektiven. Einmal sehen wir die Akteure von außen, wir können ihre Gefühle aus ihren Gesichtern ablesen. Ein anderes Mal sehen wir durch ihre Augen, wir sehen, was ihnen geschieht, aber wir sehen auch, was der Auslöser für ihre nächsten Handlungen sein wird.
So geschickt verstrickt der Autor Lloyd den Leser immer tiefer in die Handlung. Das ist nicht immer angenehm, aber es zwingt zum Dranbleiben – wenn man diesen erzählerischen Trick annimmt.
Neben der eigentlichen Handlung reist Canelli zu sich selbst. Aber wir verfolgen auch die Reise von Canellis Großvater, einer anderen wichtigen Figur in dieser Geschichte. Sein Großvater ist einerseits die Gewähr für einen Blick in die Vergangenheit, aber auch ein Ausblick auf die Zukunft.
Der Großvater hat eine Zeit des Aufbruchs kennengelernt, eine Zeit der Luftschiffe, als riesige zigarrenförmige Fahrzeuge durch die Luft fuhren (nicht flogen). Reisen besass eine majestätische Langsamkeit, es hatte etwas Schönes, aber auch etwas Exklusives. Mit dem Absturz der Hindenburg endeten die Träume des Großvaters und wurden zu einer lebenslangen Spinnerei. Sie wurden zu dem, was immer aus Träumen wird, die man wegen mangelnder Einsicht nicht zu Grabe tragen möchte.
Canelli selbst hat diesen Aspekt erkannt, nur seine eigenen Ängste kennt er bislang noch nicht. Da ist nur dieser Albtraum, der ihn verfolgt. Insgeheim ahnt er die Auflösung, insgeheim ist ihm nur allzu bewusst, wohin der unheimliche Weg führen wird, von dem er nächtens heimgesucht wird. Es ist der Weg, dem er sich täglich verweigert.
Erst als er sich ehrenhafter verhält und endlich das macht, was einen Polizisten eigentlich auszeichnet, was von ihm verlangt wird, löst sich der Knoten endlich auf.
Ein ungewöhnlicher Thriller von David Lloyd mit einem hoffenden Charakter in einer dunklen Stadt, grafisch außergewöhnlich, gelungen erzählt, spannend, vielschichtig. Spitze. 😀
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