Marlysa hat sich zur Abreise bereit gemacht. Der Aufenthalt in der kleinen Herberge war überaus erholsam. Erfrischt will sie die Weiterreise antreten, da ereignet sich ein unerwarteter Zwischenfall.
Oder doch nicht? Eine schöne Frau, noch dazu allein reisend, muss in dieser wilden Welt immer mit Schwierigkeiten rechnen. Zwei Gauner wollen sie aufhalten. Noch im Stall zeigt Marlysa, die Frau mit der weißen Maske, den beiden Kerlen, wie wehrhaft sie ist. Aus einer gemütlichen Reise wird ebenfalls nichts. Auf ihrem Weg muss sie beobachten, wie eine Kutsche von schwer bewaffneten Soldaten überfallen wird. Marlysa zögert keinen Moment und greift ein.
Die Wachen, die den Weg der Kutsche begleiteten, büßen ihre Wachsamkeit und Opferbereitschaft mit dem Leben. Noch im Sterben vertrauen sie Marlysa ihre Schutzbefohlene an. In der Kutsche findet sie eine uralte Frau, dem Tode näher als dem Leben. Die junge Kriegerin kann sich nicht erklären, was die fremden Krieger, die sie in die Flucht geschlagen und getötet hat, von der alten Frau gewollt haben. Doch sie übernimmt die Aufgabe, die Frau zu ihrem vorbestimmten Ziel zu bringen.
Vorerst muss Marlysa jedoch an ihrem Image arbeiten. Der nächste Aufenthalt findet im Vorfeld eines Turniers statt, bei dem Marlysa sich als Zweikämpferin beweisen will. Ob im Abendkleid oder in der Rüstung eines professionellen Kämpfers, Marlysa macht immer eine gute Figur – Aber das genügt nicht immer, wie sich alsbald herausstellt.
Auch die unbekannten Krieger geben so schnell nicht auf. Schneller als Marlysa lieb ist, haben die Fremden sie und die alte Frau wieder aufgespürt. Noch einmal gelingt den beiden die Flucht dank der Hilfe eines freundlichen Druiden. Endlich lüftet sich das Geheimnis um die alte Frau ein bißchen.
Leider bedeutet das auch für Marlysa, dass die Schwierigkeiten jetzt erst so richtig losgehen.
Marlysa – Die Lebensfrau von Jean-Charles Gaudin und Jean-Pierre Danard ist ein schönes Fantasy-Abenteuer. Glücklicherweise ist es nicht jenseits aller bekannten Fantasy konzipiert, weshalb der Einstieg in die Geschichte leicht fällt und der Leser sich schnell zurecht finden kann.
Marlysa ist keine übliche junge Frau. Sie ist eine Kämpferin mit einer bewegten Vergangenheit, die aber für diese Geschichte so gut wie keine Rolle spielt. (Der Leser muss die vorhergehenden Geschichten nicht kennen.) Sie ist kein Überwesen und verliert auch Kämpfe, mitunter überschätzt sie sich sogar. Sie ist klug, aber manchmal auch zu vertrauensselig. Kurzum, sie ist erfrischend normal, einzig ihr Kämpferherz hebt sie sehr von anderen Charakteren der Geschichte ab.
Doch sie ist keine x-beliebige Frau, denn hinter ihrer Maske verbirgt sie ein Geheimnis – welches furchteinflößend sein muss, wie sich an der Reaktion jener ablesen lässt, die Gelegenheit bekommen, sie ohne Maske zu sehen. Da ihr Herz aus Gold ist (natürlich nur sprichwörtlich) findet sie häufig schnell Freunde – nicht immer, weshalb auch Enttäuschungen vorprogrammiert sind.
Mit Marlysa ist als überaus sympathische Frau die zentrale Figur dieser Fantasy-Geschichte. Und weil man sie einem so früh so sehr ans Herz wächst, bleibt man als Leser auch sogleich am Ball.
Eine derart sympathische Figur in einem Comic ist selten. Ich kann nicht einmal so recht deuten, wo die Ursache dafür begraben liegt. Vermutlich sind es viele Kleinigkeiten, die über die ganze Handlung verteilt sind.
Am Ende jedenfalls kann man nur sagen: Prima, dass sie das so toll hinbekommen hat!
Die Lebensfrau beschreibt ein Thema, dass auf (entfernt) ähnliche Weise auch einmal in Star Trek angepackt worden ist. Die Frage lautet: Muss das Leben immer als Kind beginnen? Aus dem Mythos des rückwärts gewandten Lebens entsteht schnell eine Eigendymanik, die ungeheuer viele Ideen nach sich zieht – die von Gaudin auch sehr schön vor dem Leser ausgebreitet werden.
Diese Erfahrungen und Empfindungen als solche, wie die Schwäche des Alters oder die Entdeckungen der Jugend sollten eigentlich nichts Besonderes sein. In dieser Konzentration zeigt Gaudin jedoch, wie groß das Geschenk all dieser Lebensabschnitte doch sein kann.
Die Bilder sind ausgefeilt gezeichnet von Danard. Marlysa ist eine Kämpferin, athletisch gebaut und mit einem Lächeln ausgestattet, das ihre Herzensgüte nach außen trägt. Danard setzt das Konzept seines Kollegen Gaudin hervorragend um.
Doch damit endet Danards Arbeit noch nicht. Er gestaltet eine Welt, mittelalterlich anmutend zunächst, die bald mit vielerlei Gestalten, Bauten und Tieren aufwartet und eine märchenhafte Kulisse entstehen lässt. Dank der farblichen Gestaltung von Angélique Césano wird dieser Eindruck noch unterstrichen.
Besonders knuffig anzuschauen sind die faunähnlichen Lebewesen, ein Volk wie eine Mischung aus Ziegen und Zwergen, zuerst ein bißchen teuflisch, später heldenhaft und freundlich.
Danard zeichnet schnörkellos. Man könnte auch sagen hell. Danards Art zu zeichnen verträgt sich ungeheuer gut mit der erzählerischen Art von Gaudin. So ist es kein Wunder, dass Marlysa bereist in die sechste Runde geht – und hoffentlich noch weitere Fortsetzungen schafft.
Geradlinige Fantasy für ein richtig schönes Lesevergnügen. Prachtvoll, spannend, sympathisch. 🙂
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